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Selbstoptimierungsdruck und Burnout sind Phänomene, die auch Ärzte und Psychotherapeuten betreffen. Dr. Jan C. Wulff ist US-zertifizierter Mentaltrainer/Coach. Der hausärztliche Internist aus Sülfeld (Kreis Segeberg) hat die Entstehungsbedingungen von negativem Stress erforscht und Lösungswege für mehr Zufriedenheit und Stresstoleranz entwickelt.
Nordlicht: Inwiefern fördert der Medizinerberuf das Entstehen von Stress?
Dr. Jan C. Wulff: Zum einen durch äußere Umständen, beispielsweise am gesellschaftlichen Umfeld mit den zunehmenden Ansprüchen von Patientenseite, an der immer kürzer werdenden Halbwertzeit des medizinischen Wissens und an einer immer dichter werdenden Regelungsdichte der verschiedensten Aufsichts-Institutionen. Dazu kommt derzeit auch Covid-19, das viele von uns nicht nur persönlich beunruhigt, sondern auch beruflich neue Herausforderungen mit sich bringt. Die Gründe liegen zum anderen aber auch an inneren Umständen in Form einer immer geringer zu werden scheinenden Stresstoleranz.
Nordlicht: Das hört sich nach Automatismen an, die nur schwer zu durchbrechen sind. Was lässt sich tun?
Wulff: An den äußeren Umständen werden wir als Individuen so schnell nichts ändern. Bleibt also „nur" die Verbesserung unserer persönlichen Stresstoleranz. Es mag für manchen Leser zunächst provozierend klingen, aber auch Stress ist nur eine von mehreren Wahlmöglichkeiten, die uns Menschen zu jeder Zeit und in jeder Situation offenstehen. Eine andere wäre z. B. innere Gelassenheit. Ein Beispiel: Wenn wir in unserem Gehirn ein Engramm gespeichert haben, das uns sagt, dass 20 Patienten im Wartezimmer unweigerlich Stress bedeuten, dann werden wir diese Situation immer wieder als negativen Stress erleben. Wir hätten allerdings auch die Möglichkeit, uns über so viel Zuspruch von Patienten-Seite zu freuen und einen nach dem anderen „abzuarbeiten". Das wäre dann positiver Stress.
Nordlicht: Kann in unserem Gehirn die Datei „negativer Stress" denn so einfach durch „positiven Stress" ersetzt werden?
Wulff: Sie kann. Der Psychologe Donald O. Hebb formulierte schon 1949 die Hebbsche Lernregel in seinem Buch „The Organization of Behavior". Später gaben zahllose neurophysiologische Forschungen immer mehr Aufschluss über die plastische Formbarkeit des Gehirns bis ins hohe Alter hinein. Diese sogenannte Neuroplastizität beschreibt die Fähigkeit von Synapsen, Nervenzellen oder auch ganzen Hirnarealen, sich nutzungsabhängig in ihrer Anatomie und Funktion in jede nützliche oder schädliche Richtung zu verändern. Wenn wir also unser Gehirn funktionell und sogar anatomisch umgestalten können, dann können wir zwangsläufig auch unseren scheinbar unabänderlichen Umgang mit Stress-Situationen ändern.
Nordlicht: Wie funktioniert das genau?
Wulff: Diese Fähigkeit hat offenkundig etwas mit Lernen zu tun: Grundsätzlich lernen wir entweder durch einmalige High-Impact Situationen oder – häufiger – durch ständiges Wiederholen. So z. B. in der Kindheit beim Gehen, Sprechen, Rechnen, später bei Fremdsprachen, Autofahren, Medizinstudium, Facharztausbildung, Praxis-, Personalführung etc. Auch im Mentaltraining (Coaching) geht es ums Lernen durch Wiederholen: Um die Bildung neuer, nützlicher Dateien in unserem Gehirn, als Ersatz für alte, überholte, nutzlose oder sogar schädliche. Das ist dem Aufspielen einer neuen Software auf einem Computer ähnlich, wenn eine alte überholt ist und nicht mehr unterstützt wird. Der berühmte Tony Robbins hat auf diese Weise bekannte Größen, wie Bill Clinton und Mutter Theresa gecoacht und ihre Resilienz erheblich zu steigern geholfen. Mentaltraining ist angesichts der Realität von Neuroplastizität eine wundervolle Möglichkeit, Beengungen durch gegenwärtige Denkmuster hinter sich zulassen und Realitäten zu schaffen, die wir üblicherweise für
unerreichbar halten.
Nordlicht: Das hört sich so einfach an. Warum fällt es vielen Medizinern trotzdem schwer, alte Denk- und Verhaltensmuster abzulegen?
Wulff: Viele Leistungsträger unserer Gesellschaft, also auch wir Ärzte, leben unbewusst mit einer Hirn-Software, die besagt, dass sie nur anerkannt, wahrgenommen, zugehörig und geliebt werden, wenn sie etwas leisten, was von anderen positiv bewertet wird. Diese Software ist ein Nimmersatt, sie will immer mehr, hat nie genug. Sie will „immer höher, weiter, schneller". Eine Klientin von mir war schon Fachärztin für Allgemeine und Plastische Chirurgie und meinte jetzt auch noch Handchirurgie hinzufügen zu müssen. Auf meine Frage „Warum?" gab sie sich die Antwort, dass sie sich sonst nicht qualifiziert genug fühle. Diesen Glaubenssatz konnte sie schnell ablegen und sich mit dem, was sie schon war und konnte, zufriedengeben.
Nordlicht: Wie sollte man vorgehen, um mehr psychische Widerstandsfähigkeit zu erreichen?
Wulff: Das von mir aus zahlreichen Quellen entwickelte Mentaltraining nenne ich „Braintuning System". Danach ist es sinnvoll, sich darüber klar zu werden, wer oder was wir denn an Stelle dessen, was/wer wir schon sind, lieber sein möchten. Dazu ist es hilfreich, unsere unbewussten Glaubenssätze und Denkautomatismen zu identifizieren. Das kann z. B. durch die immer wieder gestellten Fragen „Wie fühle ich mich?" und „Was denke ich gerade?" geschehen. Dabei nähern wir uns unseren oftmals sehr flüchtigen Gedanken über die deutlich länger anhaltenden Gefühle und Stimmungen. Die Prozesse ähneln dabei einem Navi-Gerät im Auto. Es muss den gegenwärtigen Standort, das gewünschte Ziel und die möglichen Wege zum Ziel kennen. Bezogen auf unser Gehirn heißt das:
1. Wo beginnt mein Weg bzw. wer bin ich gerade?
2. Formulierung meines Ziels bzw. Wer oder was will ich sein/tun/haben und Warum?
3. Wie gelange ich zu meinem Ziel bzw. welche Techniken/Praktiken muss ich kennen und üben?
Nordlicht: Können Sie diese Techniken näher beschreiben?
Wulff: Eine ganze Reihe von Techniken für das Erreichen von Zielen besteht in dem ständigen Wiederholen von dem, was wir einmal sein/tun/haben möchten. Zu ihnen gehören die sogenannten Affirmationen: Das sind kurze, prägnante Sätze, die, in der Gegenwart artikuliert, ein positives Ziel ohne jede Form der Negierung/Verneinung formulieren. Beispiel: Ich möchte mein ständiges Gefühl von gestresster Überforderung durch anhaltende, ruhige Belastbarkeit ersetzen. Dann könnte eine Affirmation so aussehen: „Ich fühl mich gut und mag mich gern". Hierbei handelt es sich um eine Art Allzweckwaffe gegen jede Art von negativem Lebensgefühl. Sie stammt von Brian Tracy, einer Ikone des US-amerikanischen Mentaltrainings, der viele bekannte Persönlichkeiten weltweit trainiert hat. Affirmationen sollten im Laufe der Zeit inhaltlich und sprachlich den individuellen Bedürfnissen angepasst werden.
DAS INTERVIEW FÜHRTE JAKOB WILDER, KVSH